Der Papst als Popstar
Der Vater der Kirche ist nicht nur der ?Heilige“. Er ist zugleich auch ihr wichtigster Marketing-Faktor. Welche Rolle die Medien für den Vatikan spielen – und welche der Vatikan für die Medien, kl?rt Kirchenhistoriker und Theologe Prof. Dr. Dr. J?rg Ernesti.
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Was macht ein Foto zur Ikone? Ein Bild also, das über den Moment hinausweist und sich dem kollektiven Ged?chtnis einpr?gt? Wohl oft genug als Produkt des Zufalls, nicht selten aber als Ergebnis bewusster Inszenierung. Die jüngere Papstgeschichte war immer wieder für solche Bilder gut: Johannes Paul II. etwa, der 1983 vom polnischen Ministerpr?sidenten Jaruzelski empfangen wird. Mit zitternden H?nden steht der Mann in Generalsuniform, der kurz zuvor auf Weisung des Kremls das Kriegsrecht verh?ngt hat, vor dem polnischen Papst, die Augen hinter einer Sonnenbrille verborgen. Im Rückblick scheint sich hier schon das Ende des Sowjetimperiums anzudeuten. Man k?nnte auch an die seitenfüllende Schlagzeile der Bild-Zeitung nach der Wahl Joseph Ratzingers im Jahr 2005 denken: ?Wir sind Papst!“. Der erste Auftritt Leos XIV. auf der Benediktionsloggia des Petersdoms war wiederum solch ein Bild, das um die Welt gegangen ist. Befeuert durch Robert Harris‘ Roman ?Konklave“ und dessen Verfilmung war das mediale Interesse am Tod von Papst Franziskus und der Wahl eines neuen Pontifex im Jahr 2025 gr??er denn je.
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Neuland für die Forschung
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Die Transformation des Papsttums im Medienzeitalter ist bislang noch kaum im Blick der Wissenschaft. Dabei ist der Vatikan seit langem medial professionell engagiert. Bereits 1861 wurde mit dem L‘Osservatore Romano die bis heute existierende vatikanische Tageszeitung gegründet. Anf?nglich ein Kampfblatt gegen das Risorgimento, die italienische Einheitsbewegung, nahm es immer mehr den Charakter eines offizi?sen Mitteilungsblattes an, in dem die Auftritte und Ansprachen des Pontifex dokumentiert werden. W?hrend des Faschismus war der Osservatore die einzige unabh?ngige Zeitung in Italien. Auffallend ist die wohlausgewogene Auslandsberichterstattung, die bis heute von der breiten Vernetzung der katholischen Kirche in der ganzen Welt, namentlich von den 180 diplomatischen Vertretungen, profitiert.
Nimmt man die Wochenausgaben in den gro?en Weltsprachen hinzu, kommt man auf eine Auflage, die bei über 300.000 Exemplaren liegt. Eine ungleich gr??ere Reichweite als die Zeitung hat das Radio, dessen Bedeutung man im Vatikanstaat schon früh erkannte. Bereits 1931, also nur wenige Jahre nach der Gründung der gro?en europ?ischen Rundfunkanstalten, wurde Radio Vatikan ins Leben gerufen. Durch ein Finanzabkommen mit Italien im Rahmen der Staatsgründung standen damals ausreichend Mittel zur Errichtung der entsprechenden Sender zur Verfügung. Den Nobelpreistr?ger und Rundfunkpionier Guglielmo Marconi konnte man für die technische Umsetzung gewinnen. Die Dienste wurden in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich ausgebaut.
Heute sendet Radio Vatikan in mehr als 40 Sprachen. In den drei?iger und vierziger Jahren wandten sich die P?pste immer wieder mit vielbeachteten Ansprachen direkt an die Welt?ffentlichkeit. W?hrend die Sendungen im deutschen Sprachraum derzeit eher ein Nischendasein fristen, spielen sie in L?ndern, in denen die Pressefreiheit eingeschr?nkt ist, als Informationsquelle eine ungleich gr??ere Rolle.
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Home-Stories als Image-Bildner
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Kaum bekannt ist, dass die P?pste schon früh den Charme der home stories für sich entdeckten. Leo XIII. lie? sich 1899 bei der Spazierfahrt in den Vatikanischen G?rten filmen. 1945 gew?hrte Pius XII. Einblick in seinen Alltag und wurde als majest?tischer, nimmermüder Kirchenführer pr?sentiert. 15 Jahre sp?ter betonte ein Film die Volkstümlichkeit des greisen Johannes XXIII. In der Mediengeschichte des Vatikans markiert der 24. Dezember 1974 eine Z?sur. Gegen Mitternacht ?ffnete Papst Paul VI. mit einem Hammerschlag die Heilige Pforte des Petersdoms und begann damit?das alle 25 Jahre stattfindende Heilige Jahr. Für die subtile Choreographie war der Star-Regisseur Franco Zeffirelli engagiert worden. Erstmals in der Fernsehgeschichte wurde die von der RAI übertragene Sendung von mehr als einer Milliarde Menschen verfolgt. Wahrscheinlich gaben diese neuen Dimensionen den Ansto?, über die Gründung eines eigenen Fernsehsenders nachzudenken. Seit dem Jahr 1983 ist Vatican Media vor allem für die ?bertragung der p?pstlichen Gottesdienste in alle Welt zust?ndig. Die Reisen, welche die P?pste seit nunmehr sechs Jahrzehnten auf alle Kontinente führen, sind immer auch Massenevents. An der Heiligen Messe, die Johannes Paul II. zum Abschluss des Weltjugendtags 1995 in Manila feierte, nahmen mehr als vier Millionen Menschen teil, beim Besuch von Papst Franziskus auf den Philippinen sollen es sogar sechs Millionen Menschen gewesen sein. Damit z?hlen diese religi?sen Zeremonien zu den gr??ten Versammlungen aller Zeiten. Sie wurden live von den vatikanischen Medien übertragen.
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Die Macht der Bilder
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Gerade die Weltjugendtage zeigen immer neu das erstaunliche Mobilisierungspotenzial des Papsttums. Der Suggestion der dabei entstandenen Bilder kann man sich kaum entziehen, zumal wenn man den deutschen Kontext erlebt, in dem leere Kirchenb?nke und hohe Austrittszahlen zur Normalit?t geh?ren. Es ist augenf?llig, dass das Papsttum durch die internationale Reiset?tigkeit und ihre mediale Vermittlung einen anderen Charakter bekommen hat. Ungleich st?rker als vor 150 Jahren wird es als Dienstfunktion innerhalb der Weltkirche wahrgenommen. Die Globalisierung ist also auch am Petrusamt nicht spurlos vorübergegangen. Nicht von ungef?hr wurden in den letzten Jahrzehnten drei P?pste vom Time Magazine zum Man (person) of the year erkl?rt. Einen etwas stiefmütterlichen Eindruck macht die Pr?senz der P?pste in den sozialen Medien, w?hrend der Internetauftritt des Vatikans durchaus bemerkenswert ist, werden hier doch alle relevanten Ansprachen und Lehrtexte zur Verfügung gestellt. Zuletzt wurde der komplette Medienbereich durch Papst Franziskus neu geordnet und stark aufgewertet. Dass man heute vom Medienpapsttum sprechen kann, ist also keine zuf?llige, sondern eine konsequent verfolgte und durchaus beabsichtigte Entwicklung.
Zugleich wird man nicht übersehen dürfen, dass die gesteigerte mediale Pr?senz der P?pste auch Risiken mit sich bringt. Die katholische Kirche hat in den letzten zwei Jahrhunderten eine Reihe führungsstarker und medientauglicher M?nner an ihrer Spitze erlebt. Es erscheint heute kaum noch vorstellbar, einen Papst zu w?hlen, der in den modernen Massenmedien nicht bestehen kann. Alte und kr?nkliche Kandidaten, die man in früheren Zeiten gerne als ?bergangsp?pste gew?hlt hat, kommen heute wohl kaum noch infrage. Eine allzu starke Fokussierung auf die Person des jeweiligen Tr?gers scheint dem Amt jedoch nicht angemessen, der Grat zum Personenkult ist ziemlich schmal. Die Fallh?he, die aus den gro?en Erwartungen entsteht, die in der medialen ?ffentlichkeit aufgestellt werden, ist jedenfalls betr?chtlich, wie das Beispiel von Pius XII. und Paul VI. zeigt. Wurde Pius‘ Haltung im Zweiten Weltkrieg zu seinen Lebzeiten kaum problematisiert, steht seit Rolf Hochhuths Theaterstück ?Der Stellvertreter“ (1963) der Vorwurf des Schweigens zum Holocaust im Raum. Paul VI. galt zun?chst als moderner Papst, fiel aber nach dem Verbot der künstlichen Empf?ngnisverhütung im Jahr 1968 bei den Medien dauerhaft in Ungnade.
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Bet?tigungsfeld für die Forschung
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Ein Desiderat der Forschung ist also sicher die Wechselwirkung von Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung des Papsttums. L?sst sich das Bild der P?pste in den Medien steuern – oder folgt es eigenen Dynamiken? Wird das Amt durch die gewandelten Rollenerwartungen selbst ver?ndert? Im Zusammenhang mit Papsttod und Neuwahl im Jahr 2025 hat sich deutlich gezeigt, dass das Informationsbedürfnis der ?ffentlichkeit gr??er ist als die Auskunftsf?higkeit der Experten. Deren Zahl ist überschaubar, es fehlen Forscherinnen und Forscher wie der anerkannte Augsburger Papsthistoriker Bernhard Schimmelpfennig (? 2021). Notgedrungen greifen die Medien auf selbsternannte ?Vaticanisti“ zurück, die oft kaum mehr als gossip zu bieten haben. Dabei geht es gerade nicht um gossip, also um das Interesse an Privatem und Anekdotischem. Nach dem jüngsten Zensus bekennen sich 89 % aller Menschen zu einer Religion. Religion ist damit ein Faktor von gro?er internationaler Bedeutung. Sie kann Konflikte ausl?sen oder verst?rken, sie birgt aber auch ein erhebliches Friedenspotenzial. Das zeigt nicht zuletzt das Interesse an p?pstlichen Initiativen der Friedensvermittlung.
Dass das erste Wort Leos XIV. als Papst pace – ?Friede“ war, war für viele Beobachter ein starker Trigger. Schnell wurde die Erwartung ge?u?ert, er müsse ein ?Friedenspapst“ werden. Sehr viel mediale Beachtung fand zuletzt sein Angebot, Friedensverhandlungen im Ukrainekrieg im Vatikan stattfinden zu lassen. Das Papsttum im Medienzeitalter ist also ein Forschungsfeld, das für Forscherinnen und Forscher spannende Perspektiven bietet, zumal wenn sie bereit sind, sich auf eine internationale Vernetzung einzulassen.
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Prof. Dr. Dr. J?rg Ernesti
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